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News-Ressort Februar 2007
 
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Gedanken zu einer bundesweiten Zusammenarbeit von Selbsthilfegruppen

(25. Februar 2007)
Alena und Ines sandten uns diese Gedanken:

Hallo Ihr Lieben,
wir haben einige Ideen und Gedanken, von denen wir glauben, dass sie die Situation der transsexuellen Menschen in diesem Land verbessern können. Aber wir sind nur eine kleine regionale Selbsthilfegruppe mit beschränkten materiellen,
personellen und intellektuellen Ressourcen und außerdem sind wir überzeugt, dass es überall in Deutschland schon unglaublich kreative und geistreiche Überlegungen gibt. Bislang – dies ist zumindest unser Eindruck – diskutieren
die Betroffenen, transsexuell Empfindende und deren Angehörige und Freunde meistens unter sich. Dies halten wir
aber für unproduktiv. Auch das ist sicher ein Eindruck, den viele teilen. Aber wie können wir unsere soziale Isolation
aufbrechen?

* Unsere erste Idee: Jammern ist klasse, aber mit System! Wir von der Selbsthilfegruppe Ulm wären dazu bereit, alle
dokumentierten Fälle von Diskriminierungen durch Kassen, Ärzte, Therapeuten undsoweiter zu sammeln, zu ordnen und am
Ende eines Jahres als „Schwarzbuch Transsexualität in Deutschland“ herauszugeben. Dieses Verfahren hat sich
vielfach bewährt. Eine Dokumentation transsexueller Lebenswirklichkeit wäre eine hervorragende
Argumentationsgrundlage bei Ministerien, Gesundheitsorganisationen etc. auf den verschiedensten Ebenen sozialer Verantwortung.

* Daran knüpft sich unsere zweite Idee: wir müssen als transsexuell empfindende Menschen unsere Interessen
selbstbewusst artikulieren. (Wir haben eine grundsätzliche Abneigung gegen jeden Versuch die Würde unseres Empfindens
begrifflich zu definieren und sind misstrauisch, wenn manche in der Veränderung von Begriffen die Lösung der Probleme
sehen, die uns verbinden.) Mit den ideologischen Diskussionen muss Schluss sein! Und das geht nur, wenn wir
uns bundesweit organisieren!

* Ihr habt doch sicher alle auch die Erfahrung gemacht, dass es meistens nicht an den Mitarbeitern von
Ortskrankenkassen oder anderen Leuten auf untergeordneten Ebenen liegt, wenn Kostenübernahmeanträgen oder was auch immer nicht entsprochen werden kann. Wir haben sowohl im privaten wie im öffentlichen Raum die Erfahrung gemacht, dass Integration dann gelingt, wenn wir anderen Menschen mit dem Verständnis begegnen, das wir von ihnen erwarten.

* Und die gesellschaftliche Situation ist uns allen doch wohlvertraut: Kostendruck in allen Bereichen, gleichzeitig werden die Spielräume für nationale Politik immer enger, weil die europäische Integration mit immer neuer Richtlinien
die Gestaltungsmöglichkeiten einschränkt. Beispielsweise gelten die Versichertenkarten der Krankenkassen jetzt im
gesamten EU-Bereich. Das hat enorme Vorteile, andererseits hat sich sicher jeder schon überlegt, was das für die
Namensänderung bedeutet: es gibt nämlich in der gesamten EU keine einheitlichen Regelungen, vergleichbar dem deutschen TSG. Die Krankenkassen stehen unter dem Zwang, Kosten einzusparen, wo es nur geht. Zermürbungstaktiken sind Alltag. Gleichzeitig sind die Ansprüche der Versicherten an die Leistungsfähigkeit der Gesundheitsorganisationen enorm gestiegen. Das alles macht es unglaublich schwierig, unsere ganz spezifischen Interessen geltend zu machen. Wenn hier so viel von Krankenkassen gesprochen wird, ist das dem einfachen Umstand geschuldet, dass der meiste Ärger mit
Krankenkassen zusammenhängt. Außerdem: die Befürchtung, dass unsere „Interessen“ im Zuge der Reform des bundesdeutschen Sozialsytems unter die Räder geraten, ist nicht von der Hand zu weisen. Also, Jungs und Mädels, erwachen wir endlich aus unserem „Dornröschenschlaf“! Lasst uns für bundeseinheitliche Standards kämpfen!

* Wir wollen uns emanzipieren von der Bevormundung vieler engagierter, aber nicht persönlich betroffener Menschen,
auch wenn sie es noch so gut meinen. Unsere Erfahrung ist: Integration funktioniert nur dann, wenn wir jede falsche
Scheu aufgeben und uns mit unseren Ängsten und Widersprüchen mutig der Öffentlichkeit stellen. Wir haben den Traum, dass aus unserem Vorschlag, ein „Schwarzbuch Transsexualität in Deutschland“ herauszugeben, der Anstoß entstehen könnte, dass wir uns endlich zusammentun und an konkreten Projekten zusammenarbeiten.

* Der wichtigste Schritt war doch schon, dass irgendein kluger Kopf die ebenso geniale wie simple Idee hatte, endlich einmal die Internetadressen aller Selbsthilfegruppen im bundesdeutschen Raum aufzulisten. Daran anknüpfend
schlagen wir vor, ein bundesweites Forum einzurichten und vielleicht gelingt es uns ja, das Internet als Grundlage für
effiziente Verbandsarbeit zu entdecken. Als Namen für dieses Forum schlagen wir vor: Netzwerk-TS. Wenn jemand einen
besseren Vorschlag hat, soll er ihn mitteilen. Wir finden, ein guter Name ist nicht ideologisch motiviert, nicht mit
Assoziationen überfrachtet (wie etwa „Zentralrat“) und wir verkaufen ja auch kein Produkt, sondern wir wollen uns
einfach zusammenraufen, nicht wahr? Wir sammeln endlich einmal, was es an tollen und kreativen Ideen und Projekten
bereits gibt, so haben wir Schwabentrannies uns das mal gedacht…

* Wir sind dabei, mit der Einrichtung zweier Webportale: das eine für „Netzwerk-TS“, das andere für „Schwarzbuch-TS“
die rein technische Grundlage für die bundesweite Vernetzung zu schaffen.

Allerdings wird das noch etwas Zeit in Anspruch nehmen. Wir wären euch sehr dankbar, wenn ihr uns schon vorab per Email
zurückmeldet, was ihr von unseren Ideen und Gedanken haltet:

Also: Selbstmitleid ist Silber, konstruktiv jammern ist Gold!

* Wir möchten es so sehen: Auch wir sind Deutschland. Und wir haben den Eindruck, dass die Integration transsexueller
Menschen auch deshalb nicht gelingt, weil diese Gesellschaft sich immer noch nicht vom Schatten einer
menschenverachtenden Vergangenheit gelöst hat. Das bedeutet: Wenn wir zu uns selbst stehen, leisten wir damit unseren
individuellen Beitrag zu einer verantwortlichen deutschen Identität, wie sie Richard von Weizsäcker in seinen Reden
stellvertretend für unser Volk formuliert hat.

Alena Nölle & Ines Ims
Freundeskreis transidentischer Menschen Ulm e.V.