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Romane


     
Autor Lloyd, Ellen
Titel Geboren im falschen Körper
Untertitel -
Ort Berlin
Jahr 2002
ISBN 3-930894-55-6 (Taschenbuch, Rhombos Verlag)
Original-Titel -
Original-Untertitel -
Original-Ort -
Original-Jahr -
Original-ISBN -
Anmerkungen Leseprobe

Dr. Carrett, Arzt für Psychologie, saß in seinem Stuhl und wartete auf seinen nächsten Patienten. Mrs. Randel hatte sich angemeldet. Die Tür ging auf, herein trat eine Frau von 1,75 m Größe. Sie hatte dunkelbraune Haare mit einem ziemlich kurzen, sportlichen Schnitt. Auffallend an dieser Frau war die Kleidung. Sie trug Hosen und Sporthemd, ganz nach Männerart. Ihr Benehmen entsprach nicht das einer richtigen Frau.
Bitte setzen Sie sich, Mrs. Randel“, sagte Dr. Carrett mit freundlicher Stimme und deutete auf den Stuhl, der gegenüber von seinem Tisch stand.
Da Mrs. Randel ein neuer Patient war, so musste auch eine neue Patientenkarte erstellt werden.
Zunächst brauche ich von Ihnen noch ein paar Daten, Mrs. Randel. Wann sind Sie geboren?“
„Am 23.03.1966.“
„Wie heißen Sie mit Vornamen?“
„Roswitha.“
„Haben Sie noch Geschwister?“
„Ja, zwei.“
„Sind in Ihrer Familie irgendwelche Abnormitäten bekannt?“
„Nein, nicht dass ich wüsste.“
„Wo sind Sie geboren?“
„Hier in San Francisco.“
„Wo wohnen Sie?“
„In San José.“
Dr. Carrett schrieb und schrieb. Alles wurde ausgefragt, bis auf das kleinste Detail.
Endlich ging es dann zum Hauptteil über.
„So, das hätten wir und jetzt zu Ihnen, Mrs. Randel. Was führt Sie zu mir?“
„Also, ich habe innere Konflikte. Ich kann nicht wie eine richtige Frau fühlen. Ich versuche, dagegen anzukämpfen, aber die Triebe sind stärker als ich.“
„Und wie wirkt sich das bei Ihnen aus?“
„Indem ich mein äußeres Erscheinungsbild verändere.“
„Und in welcher Form äußert sich das?“
„Zum Beispiel mein Gang und meine Denkweise. Ich werde jedes Jahr mehr und mehr dominanter.“
„Wenn ich Sie richtig verstanden habe, tendieren Sie mehr von Ihren Gefühlen und Ihrer Denkweise her auf die männliche Seite.“
„Ja, ich bin keine Frau. Ich habe zwar weibliche Geschlechtsteile, bin als weibliches Geschlecht auf die Welt gekommen, aber ich fühle und denke wie ein Mann.“
Dr. Carrett hatte schon viele Fälle, aber diesen hatte er noch nicht. Es war das erste Mal, dass eine Frau kam und von ihm Hilfe erwartete. Bisher waren es immer Männer, die mit solchen Problemen auf Dr. Carrett zukamen. Diesmal wurde es komplizierter, da es sich um eine Frau handelte. Es sollte eine längere Sitzung geben, da diese Frau sehr interessant war und sehr viel Aufmerksamkeit brauchte.
Roswitha Randel lehnte sich zurück und war kurz vor dem Tränenausbruch. Dr. Carrett konnte es an Ihren Augen sehen, die sich schon mit Tränen füllten.
„Dr. Carrett, ich flehe Sie an! Ich bitte Sie um Ihr Einverständnis für eine Geschlechtsumwandlung.“
Dr. Carrett hielt gerade seine Tasse an den Mund und hatte sich bereits verschluckt. Er musste sich in jenem Augenblick noch einmal beherrschen. Dieser Satz kam zu schnell über die Lippen einer Frau, die noch in ihrem Unverstand handelte.
„Mrs. Randel, ich kann Sie sehr gut verstehen. Leider muss ich Ihnen sagen, bevor wir damit weitermachen, dass Sie noch viele Stationen über sich ergehen lassen müssen bis Sie an diesem Punkt angelangt sind. Zunächst möchte ich Ihre Person kennen lernen. Dazu brauchen wir mehrere Sitzungen. Haben Sie einen Hausarzt?“
„Ja, natürlich.“
„Gut, Sie werden als Erstes zu ihm gehen und sich richtig durchchecken lassen. Verstehen Sie mich bitte nicht falsch, das gehört alles dazu. Sonst läuft auf diesem Gebiet gar nichts. Bevor wir weitere Schritte unternehmen, muss erst Ihre Gesundheit überprüft werden. Das ist Vorschrift. Und das gilt nicht nur für Sie, sondern auch für alle anderen, die sich in der gleichen Lage befinden.“
„Es ist mir scheißegal, was Sie alles von mir verlangen, Dr. Carrett, aber ich werde diese Sache durchziehen, koste es was es wolle. Ich werde nicht mehr als Frau herumlaufen. Es ekelt mich schon an, wenn ich mich im Spiegel anschaue. Die Brüste stören mich und meine Vagina genauso. Alles sitzt am falschen Platz. Es gehört einfach nicht zu mir.“
Während sie sprach, riss sie ihre Augen weit auf und beugte sich über den Tisch, damit der Psychologe sie besser verstehen konnte.
„Mrs. Randel, bleiben Sie ruhig! Mit diesem Aufstand kommen wir nicht weiter. Es gibt nun mal Gesetze, die ich befolgen muss. Ich habe sie nicht gemacht. Wir haben auch unsere Ämter, die über uns stehen. Sie wollen eine Geschlechtsumwandlung, die Sie auch bekommen werden, sobald Sie alle meine Anweisungen befolgt haben.“
Roswitha lehnte sich wieder in ihren Stuhl zurück und beruhigte sich. Sie holte aus ihrem Hemd eine Schachtel Marlboro hervor und fing an zu rauchen. Das Gespräch mit Dr. Carrett hatte sie fertig gemacht. Das Ganze ging ihr auf die Nerven. Sie stellte sich das zu einfach vor. San Francisco war eine große Stadt und Roswitha war überzeugt davon, dass es noch mehrere Personen gab, die den gleichen Konflikt in ihrem tiefsten Inneren mitmachten.
Das Sprechzimmer von Dr. Carrett war nicht sehr groß. Eine Liege, ein Tisch und Stühle standen im Zimmer. Dr. Carrett war ein Mann in den Vierzigern. Seine Haare trug er bis auf die Schultern. Genau das machte ihn bei seinen Patienten so selbstsicher.
„Wir haben jetzt noch eine halbe Stunde Zeit, danach erwarte ich noch einen anderen Patienten. Sie werden mir jetzt noch ein bisschen von sich erzählen. Wann bemerkten Sie zum ersten Mal, dass mit Ihnen etwas nicht stimmte?“, fragte Dr. Carrett.
Dann fing Roswitha an zu erzählen: „Das Ganze begann schon im Alter von vier Jahren als meine Mutter mich im Kindergarten anmeldete. Immer, wenn ich auf die Toilette musste, ging ich mit den Jungs. Anstatt beim Pinkeln zu sitzen, stellte ich mich hin und spreizte meine Schamlippen. Sobald die Leiterin dies sah, schimpfte sie mit mir und ließ mich links liegen. Während die Mädchen mit Puppen und anderen Dingen spielten, beschäftigte ich mich mit Autos. Zu Hause bei meinen Eltern lief das Ganze auf die selbe Art. Zum Geburtstag oder zu Weihnachten bekam ich die schönsten Kleider und Spielsachen geschenkt. Aber jedes Mal, wenn ich ein Kleid anziehen musste, fing ich an zu schreien und zu weinen bis meine Mutter es mir wieder auszog. Dafür sperrte sie mich dann in den Keller, bis ich mich ihrem Willen beugte. Mein Vater war anderer Meinung. Mit Zwang würde man gar nichts erreichen, sagte er. Deshalb machte es ihm weniger aus, wenn ich mich nicht in einem Kleid zeigen wollte. Mein Vater widmete sich sehr seinem Hobby. Er bastelte an ferngesteuerten Segelflugzeugen herum. Stundenlang konnte er sich mit diesen Sachen beschäftigen. Da war auch noch mein Bruder Sean, der vier Jahre älter ist wie ich. Er konnte schon gut alleine auf sich aufpassen. Sean hatte schon mit acht Jahren ein gutes Augenmerk. Mein Verhalten, obwohl es noch kindlich war, fiel ihm auch schon auf. Sean war ein begeisterter Baseballspieler. Oft nahm er mich mit zu einem Turnier. Zu meinem Geburtstag schenkte mir Sean einen Baseballschläger und den Ball dazu. Meiner Mutter war das nicht recht, dass Sean mein Verhalten noch förderte. Oft beschimpfte sie meinen Bruder und sagte: ‘Sag mal, muss das sein. Bedenke immer, Roswitha ist Deine Schwester und nicht Dein Bruder. Ich finde, Du übertreibst diese Sache ein bisschen.’
Vor Wut rannte Sean in sein Zimmer und knallte die Tür zu. Natürlich bin ich ihm dann nachgerannt, weil ich sonst ja niemanden zum Spielen hatte.
Eines Tages nahm mich meine Mutter mit zu einem Kinderpsychologen. Ich war gerade sechs Jahre alt und kurz vor der Einschulung. Der Kinderpsychologe schaute erst meine Mutter an und dann mich. Irgendwie machte ich einen Eindruck auf ihn. Für mein Alter hatte ich noch nicht die richtige Größe. Es fehlten noch einige Zentimeter.
Meine Reflexe wurden geprüft und mein Körperbau wurde begutachtet. Dann stellte er meiner Mutter ein paar Fragen, die sie ohne weiteres beantwortete. Es wäre sehr wichtig für einen Psychologen, dies alles zu wissen, und zwar für die Behandlung, falls es einer bedarf, meinte er. Meine Mutter kam natürlich immer mit der gleichen Story und redete auf den Kinderpsychologen ein.
‘Am Anfang fiel mir alles noch gar nicht auf. Roswitha kam als normales Mädchen auf die Welt. Sie schlief mit acht Wochen schon durch. Auch ihre Flasche nahm sie regelmäßig. Sie krabbelte und lernte laufen wie andere Kinder auch. Später, so mit etwa vier Jahren, ging das ganze Theater los. Es begann mit ihrem ersten Kleidchen. Jedes Mal schrie sie, wenn sie Kleider tragen musste. Die Puppen, die ich ihr schenkte, warf sie in eine Ecke. Am liebsten spielte sie mit ihren Autos, die ihr mein Sohn geschenkt hatte. Mit Mädchen ihres Alters spielte sie überhaupt nicht. Nur mit Jungs. Sean, mein Sohn, er ist vier Jahre älter als meine Tochter Roswitha, fördert das Ganze noch und weihte sie in das Baseball-Spielen ein.’
Der Kinderpsychologe dachte einen Moment lang nach und fragte dann nach meinem Vater: «Ja, und wie sieht es mit Ihrem Mann aus? Ist ihm das mit dem Verhalten von Roswitha auch schon aufgefallen?»
«Nein, so wie es aussieht, nicht. Mein Mann ist nicht so besorgt wie ich. Meistens sitzt er in seinem Hobbyraum herum und bastelt an seinen Modellflugzeugen. Sein einziger Standpunkt ist «Tu das, was Dir gefällt, solange es die Grenzen nicht überschreitet.» Aber mit dem gebe ich mich nicht zufrieden. Ich merke, dass mit meiner Tochter etwas nicht stimmt. Roswitha hat eine kranke Seele, die geheilt werden muss. Sie beginnt ihre Orientierung an ihrem eigenen Geschlecht zu verlieren. Und ich werde nicht locker lassen bis Roswitha wieder völlig geheilt wird.»
Ich saß in meinem Stuhl und schaute den Psychologen mit traurigen Augen an. Er entschloss sich dann für eine Spieltherapie. Zweimal in der Woche musste ich dort erscheinen. Es wurde schon richtig langweilig. Der Kinderpsychologe versuchte nach langem Spiel und Gesprächstherapien mich auf die Seite meines rechtmäßigen Geschlechtes zu bringen. Immer wieder erklärte er mir die Unterschiede zwischen Mädchen und Jungs. Er gab mir ein Auto in die Hand und danach eine Puppe. Er legte mir Puppenkleider vor und verlangte spielerisch, dass ich die Puppen aus- und anzog. Ich sollte Gefallen an Puppen bekommen, ganz meinem Geschlecht zugeordnet, und ich sollte die Autos ganz und gar aus meinem Kopf streichen. Aber jedes Mal, wenn ich merkte, auf was er hinaus wollte, fing ich an zu weinen. Ich saß dann da und schaute nur noch verzweifelt an die Decke. Zehn Sitzungen hatte ich schon hinter mir. Aber alle waren vergebens. Es hatte nichts gebracht. Ich änderte mein Verhalten nicht. Im Gegenteil, alles wurde noch schlimmer.
Endlich wurde ich eingeschult. Ich hatte mich schon sehr darauf gefreut. Aber auch diese Freude vermasselte mir meine Mutter. Sie befahl mir, dass ich an diesem Tag ein Kleid anziehen müsse, damit ich bei der Lehrerin einen guten Eindruck machte.
Meine Hose, die ich mir schon ausgesucht hatte, lag im Schrank und wartete, bis ich sie anziehen durfte. Das endgültige Wort meiner Mutter war „Nein“. Nicht einmal schreien und weinen half. Es sollte diesmal ein Kleid sein und keine Hose. Voller Verzweiflung musste ich mich in dieses Kleid hineinzwängen, das mir meine Mutter vorlegte. Es war der Tag der Einschulung, und ich hatte mich schon sehr darauf gefreut.
Deshalb gab ich diesmal nach und kam den Forderungen meiner Mutter nach.
Das Kleid, das ich anhatte, war mir so lästig. Am liebsten hätte ich es in der Schule gleich wieder ausgezogen. Meine Gedanken waren schon in den Toilettenräumen, wo man sich umziehen konnte. Meine Mutter beobachtete mich auf Schritt und Tritt, damit ich das Kleid anbehielt.
Die Klasse, in die ich eingeteilt wurde, bestand aus Mädchen und Jungs. Kaum war ich in der Klasse, freundete ich mich gleich mit den Jungs an. In den Pausen rannten wir wie die Wilden auf dem Schulhof herum. Die Jungs ärgerten die Mädchen, und ich machte es ihnen nach. Auch prügelte ich mich mit den Jungs. Jeder wollte der Stärkere sein.
Gerade jetzt war ich acht Jahre alt. In meiner Schule verlief alles gut. Auch meine Leistungen waren hervorragend. Sean, mein Bruder, meldete mich im Baseball-Club an. Der Trainer war erst nicht damit einverstanden, weil ich ein Mädchen war, dennoch überlegte er es sich und drückte ein Auge zu. Er sah, dass in mir ein Talent steckte. Zum Umziehen bekam ich mit der Zeit eine Extrakabine. Das machte mir gar nichts aus. Hauptsache ich konnte mit den Jungs zusammen sein.“

Dr. Carrett musste Roswitha unterbrechen. Die halbe Stunde war schon um und der nächste Patient saß schon im Wartezimmer. Es ging alles nach Termin. Dr. Carrett machte gleich einen neuen Termin für die zweite Sitzung aus.
„Vergessen Sie mir bitte nicht den Hausarzt, Mrs. Randel. Es ist sehr wichtig.“
Dr. Carrett gab Roswitha die Hand bevor sie ging und erinnerte sie an die zweite Sitzung.
Roswitha stieg in ihr rotes Cabriolet und fuhr nach Hause. Ein Teil ihrer Probleme lösten sich durch Gespräche mit Dr. Carrett. In ihrem Innern fühlte sie sich nicht mehr so eingezwängt. Der Weg war noch lang bis zum gewünschten Ziel.

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