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Anders als die anderen 

Stummfilm, Deutschland 1919, Schwarz-weiß, Restaurierte Fassung, Deutsche und französische Erstaufführung, Uraufführung: 28. 05. 1919, Berlin
Regie: Richard Oswald; Buch: Richard Oswald, Magnus Hirschfeld; Kamera: Max Faßbender; Bauten: Emil Linke; Wissenschaftliche Beratung: Magnus Hirschfeld; Produktion: Richard Oswald Film-Produktion, Berlin; Musik (1999): Bernd Schultheis; Einspielung: ensemble KONTRASTE; Leitung: Frank Strobel; Produktion: KirchMedia in Zusammenarbeit mit ZDF/ARTE; Redaktion: Nina Goslar; Restaurierung der Kopie (1998): Filmmuseum München in Zusammenarbeit mit KirchMedia
Mit: Conrad Veidt (Paul Körner, Violinvirtuose), Fritz Schulz (Kurt Sivers), Reinhold Schünzel (Franz Bollek), Magnus Hirschfeld (Arzt), Karl Giese (Paul Körner als Kind)

Paul Körner hat sich nach einer schwierigen Jugend, in der er wegen vermuteter homosexueller Neigungen von der Schule verwiesen worden ist, ganz in die Musik zurückgezogen; als Violinvirtuose wird er gefeiert, niemand weiß um seine Homosexualität. Als er nach einem Faschingsball einen jungen Mann mit zu sich nach Hause nimmt, ist er in Händen eines Erpressers. Franz Bollek droht ihn wegen Verstoß gegen den § 175 anzuzeigen; Paul zahlt, bis ihm der Besuch eines Vortrags von Magnus Hirschfeld und dessen wissenschaftliche Betrachtung der Homosexualität neues Selbstbewusstsein geben. Er zeigt Bollek an, der zwar wegen Erpressung verurteilt wird - doch nun ist auch Körners Veranlagung bekannt, und er wird gesellschaftlich geächtet. Körner begeht Selbstmord.

Mit ANDERS ALS DIE ANDERN hat Richard Oswald den ersten Homosexuellen-Film der Filmgeschichte geschaffen. Der Film wurde am 18. 08. 1920 verboten "mit der Maßgabe, dass die Vorführung zugelassen wird vor bestimmten Personenkreisen, nämlich Ärzten und Medizinalbeflissenen, in Lehranstalten und wissenschaftlichen Instituten." Solche Vorführungen fanden auch tatsächlich im Berliner Institut für Sexualforschung von Magnus Hirschfeld statt. - Dass sich von Oswalds Film überhaupt Material erhalten hat, ist einem anderen Film zu verdanken: Magnus Hirschfeld drehte 1927 einen Dokumentarfilm, GESETZE DER LIEBE, und schnitt für die Schlussepisode eine Kurzfassung von ANDERS ALS DIE ANDERN. Zwar verlangte abermals die Zensur, genau diese Episode zu entfernen; doch hat die Passage in einer ukrainischen Exportkopie die Zensur überlebt und gibt nun, mit einer Viertel-Länge der ursprünglichen Fassung, zumindest einen Eindruck von Richard Oswalds Aufklärungs-Film, der auf einzigartige Weise künstlerische Qualität und sozialpolitisches Engagement verbindet.

Richard Oswald, auf ARTE zum ersten Mal im Fernsehen vorgestellt, war ein zu seiner Zeit populärer Filmproduzent und Künstler in einer Person. Mit einem sicheren Instinkt für publikumswirksame Stoffe, aber auch großer Seriosität, drehte Oswald als ein Pionier des Genres sogenannte Aufklärungsfilme. Von 1916 bis 1921 entstanden u.a. die ES WERDE LICHT (Teil 1 - 4), TAGEBUCH EINER VERLORENEN, ANDERS ALS DIE ANDEREN, DIE PROSTITUTION, DIE SICH VERKAUFEN und SÜNDIGE MÜTTER. Bei jedem dieser Sittenfilme holte sich Oswald kompetente Beratung, u. a. von Magnus Hirschfeld, der ebenfalls Pionierleistungen auf dem Gebiet der Sexualaufklärung leistete.

Das Münchner Filmmuseum machte sich mit Hilfe der erhalten gebliebenen Zensurkarte und Protokollen der Film-Oberprüfstelle an eine Rekonstruktion. Die 41-minütige Fassung von ANDERS ALS DIE ANDERN aus dem Film von Magnus Hirschfeld ist somit wiederhergestellt. Oswalds Originalfassung war in ihrer Mischung aus inszenierten und semidokumentarischen Elementen weit komplexer; zentral ist ein Vortrag von Magnus Hirschfeld, dem Paul Körner beiwohnt, und der in einem alle Konventionen sprengenden Text von zwei Minuten Lese-Länge wiedergegeben wurde. "Im Mittelpunkt steht der Vortrag. Um ihn herum rankt sich eine schlichte Lebensgeschichte..." beschrieb Oswald sein "sozial-hygienisches Filmwerk".

Bernd Schultheis (*1964), renommierter Komponist von Stummfilmmusiken, schrieb zu dieser Studie eines Lebens in sozialer Diskriminierung eine Musik, die äußerst subtil Gefühlszustände artikuliert und die in ihrer Modernität das zeitkritische Engagement von Richard Oswald unterstreicht. Ein Film, der allgemein nur als sozialpolitisches Dokument Erwähnung findet, wird durch diese Musik zu einer veritablen cineastischen Entdeckung, die durch ihre konzentrierte Erzählung und die große schauspielerische Leistung von Conrad Veidt beeindruckt.