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Evelyn's Erfahrungen auf dem 2. Gender Change Workshop - März 2002
Evelyn


Ich beginne meinen Erfahrungsbericht mit dem ersten Tag, dem Freitag, denn die Anmeldung vorher zu diesem Workshop war problemlos, jedenfalls äußerlich. Innerlich habe ich mich dazu durchgerungen: Ja oder nein, aber irgendwie war da eine innere Neugier, fast schon ein Zwang, eine Angst etwas zu versäumen, was ich mir später vorwerfen könnte. Ich wusste, dass ich diesmal teilnehmen musste. Letztes Jahr, als dieser Workshop das erste Mal veranstaltet wurde und ich die Ankündigung im Internet gefunden hatte, brachte ich noch nicht den Mut für eine Anmeldung auf, denn es war mir klar, dass das ein Outing ist.

Das erste mal raus aus der Einsamkeit und Anonymität und Kontakt zu - , ja zu wem denn eigentlich? Wem werde ich begegnen? Wahrscheinlich doch wohl hoffentlich solchen Typen wie mir, oder? Wie oder was bin ich denn? Alle diese und ähnliche Fragen gingen mir durch den Kopf. Alle anderen Termine im Terminkalender wurden unwichtig. Was nehme ich mit? In welchem Outfit möchte ich mich präsentieren? Eine Miss-Wahl? Keine Hilfe. Alles muss ich selbst entscheiden. Schließlich möchte man sich ja möglichst vorteilhaft präsentieren. Ja, und dann war er doch gekommen, der erste Tag. Der erste Kontakt. Das erste Outing. Ein ganzes Wochenende als Frau? Ich musste dafür über 400 km mit dem Auto zurücklegen.

Die Wegbeschreibung von Marla war aber super. Trotzdem habe ich mich am Autobahnkreuz Bliesheim erstmal verfahren. Da geht es schon los: Als Mann wäre mir das nie passiert! Den Stau am Kamener Kreuz hatte ich auch unterschätzt. Jedenfalls bin ich dann fast zwei Stunden zu spät dort angekommen und war der, nein, ab jetzt DIE letzte. Ich wollte eigentlich pünktlich um 16 Uhr da sein, weil ich Unpünktlichkeit hasse. Hinter der Villa konnte ich auf dem Hof parken. Tasche raus und rein. Dann stand ich am Eingang plötzlich einer einfach toll aussehenden Frau im schicken Hosenanzug gegenüber. Allerdings war sie mehr als einen Kopf größer als ich (180 cm) und stellte sich als Milena, alias Heidi, vor. Nach ihrem Bild im Internet hätte ich sie jedenfalls nicht wiedererkannt.

Nach der Begrüßung bekam ich dann meine Zimmernummer von ihr und die Wegbeschreibung dorthin: Ganz oben, rechts und ganz durch. "Verbaute" Villa. Jetzt war erstmal auspacken und einrichten angesagt. Ich wollte extra kein Einzelzimmer, weil ich ja schließlich andere Mädels kennenlernen wollte. Mein Zimmer teilte ich mir mit Lilo und Stefanie. (Meine Bedenken bezüglich des nächtlichen Lärms durch Schnarcherei waren, wie sich dann herausstellen sollte, überflüssig. Glück gehabt.) Lilo war noch im Bad und Stefanie zog sich gerade ihren Rock an. Ich hatte mir vorgenommen, den ersten Abend noch nicht in Kleidern zu verbringen. Schließlich konnte ich mich ja nicht schminken. Das wollte ich doch erst morgen lernen. Aber zum Glück hatte ich ja auch etwas unauffälliges eingepackt. So zog ich den langen Rock, einen Rollkragenpullover und ganz flache Pumps an, die Perücke, ja und dann war ich schon fertig. Eher noch als meine Mitbewohnerinnen.

Unten, im Aufenthaltsraum (Wohn- Ess- und Partyraum) habe ich dann Marla, die genauso toll und genau wie ihr Bild im Internet aussieht, und einige andere Mädels - dazu sage ich jetzt lieber nichts, denn alle waren, so wie ich, ungeschminkt - kennengelernt. Alle verkleidet! Erstmal einen Begrüßungssekt und noch einen. Als dann alle unten waren, gab es ein warmes Abendessen. Echt lecker! Zum Glück hat mein Rock einen Gummibund. Die lockere Unterhaltung, die sofort begann, hat sich dann den ganzen Abend hingezogen. Zuerst die obligatorische Vorstellungsrunde: Wir waren sechs Teilnehmerinnen (Lilo, Stefanie, Romy, Irina, Katharina und ich), Marla und Milena als Ausrichter des Workshops und Wolfgang, seines Zeichens Frisörmeister und Visagist. So wie wir alle aussahen, ungeschminkt und teilweise mit derben Bartschatten, die reinste Freak-Show, habe ich gehofft, dass Wolfgang sein Handwerk versteht.

Und, beim Teutates, das sollte sich aber am nächsten Tag noch herausstellen, er verstand sein Handwerk, und wie! Wenn man so bei einer Unterhaltung zuhört, sind die tiefen Stimmen echt witzig. Irgendwie will das nicht passen, aber da gewöhnt man sich schnell dran. Die meisten Teilnehmerinnen waren schon mal in einer Selbsthilfegruppe (man darf dazu nicht Stammtisch sagen, Katharina!), ich noch nicht. Machte aber nichts. Wir konnten über alles reden, hauptsächlich natürlich über unser "Hobby"; wir waren uns einig, dass es keine Sucht ist, weil dieser Begriff negativ belastet ist. Und etwas negatives oder unrechtes tun wir ja schließlich nicht. Wir wollten natürlich damit umgehen, uns akzeptieren, wie wir sind. Als Grundlage für die Gespräche stand uns ein gut gefüllter Kühlschrank und ein CD-Player zur Verfügung, auch gut gefüllt. Unsere Vorstellungen für dieses Wochenende wurden selbstverständlich auch thematisiert. Wie kam man zu seinem Namen, zu seiner Email-Adresse? Hoffentlich habe ich jetzt nichts wichtiges vergessen, egal, es war im Großen und Ganzen ein netter Abend. Wir konnten uns alle kennenlernen, es war locker und kein bisschen peinlich, trotz unseres Aussehens. So nach und nach haben sich dann alle auf ihre Zimmer zurückgezogen.

Zweiter Tag

Wir wollten uns um 9 Uhr gut (perfekt!) rasiert zum Frühstück treffen, ungeschminkt. Es gab reichlich Kaffee, Tee, Brötchen, Marmelade, Wurst, Käse und nette Plaudereien. Zeitweise wurde unsere Gesellschaft am Samstag durch Freunde und Freundinnen der Szene bereichert. Manche nahmen nur an der Schminkorgie teil, aktiv oder passiv (als Modell). Dann zogen wir uns in den mit Spiegeln und Schminkutensilien vorbereiteten Seminarraum zurück. Von Wolfgang und Marla wurde uns dann Schritt für Schritt gezeigt, wie man sich schminkt. Wir machten an uns nach, was uns erklärt und am Modell demonstriert wurde, langsam, Schritt für Schritt. Ich kann hier unmöglich alles beschreiben, das soll schließlich keine Schminkanleitung werden.

Zuerst haben wir gemeinsam unseren Typ festgestellt. Für mich haben wir die warmen Farben ausgesucht, aber ich kann auch die kalten Farben tragen. Für manche war es aber auch ganz eindeutig. Wir lernten viele brauchbare Tricks und konnten in Ruhe üben, üben, üben. Bis zum Mittagessen waren wir dann noch nicht so schrecklich weit. Hauptsache die Lippen waren noch nicht dran, so dass wir beim Essen nicht darauf zu achten brauchten, unser Kunstwerk zu zerstören, was dann beim Abendessen natürlich nicht mehr zutreffen sollte. Am späten Nachmittag waren unsere Kunstwerke dann fertig, so dass wir mit der Fotosession beginnen konnten.

Nachdem wir uns dann dafür umgezogen hatten, manche haben sich dreimal am Tag umgezogen, legte der Meister dann nochmal bei jeder Hand an, bevor wir dann vor Marlas Digitalkamera posieren durften. Wir hatten wirklich eine Menge Spaß dabei (eine war dran, die anderen sahen zu) und es war alles ziemlich professionell. Das Studio, die Ausleuchtung, Equipment und Regieanweisungen. Die Fotoserien wurden dann sofort in den PC geladen und gegebenenfalls nachbearbeitet. Unser Lieblingsbild wurde ausgedruckt und gleich gerahmt. Selbst das Zusehen beim Fotografieren und Nachbearbeiten war faszinierend. Zum Schluss dann noch das obligatorische Gruppenfoto fürs Internet.

Das anschließende Abendessen artete dann in eine Übung, die geschminkten Lippen nicht zu ruinieren, aus. Nach dem Essen kontrollierten wir, wie viel noch vom Lippenstift vorhanden war. Schließlich war das der erste Teil des Kontests für die Wahl zur Miss GCW. Dann war unsere Party auch schon voll im Gang. Ein Höhepunkt war sicherlich der Auftritt unseres Visagisten Wolfgang als Drag Queen. Fantastisch! Zwischendurch mussten wir uns dann immer wieder weiteren, meist auch für die anderen amüsanten Tests zur Miss-Wahl unterziehen: Ein volles Sektglas möglichst schnell (niedrige Absätze brachten Punktabzüge in der B-Note) durch den Raum transportieren, die anderen davon überzeugen, dass man selbst die beste Miss GCW mit den meisten Vorzügen war, auf dem Catwalk das Outfit einer "Konkurrentin" anpreisen. - Als strahlende Gewinnerin wurde dann Lilo von uns zur Miss GCW gewählt, und wir haben ihr wirklich alle den Sieg gegönnt, zumal sie dann als vorher versprochenes Dankeschön einen Song von Patricia Kaas vortrug. Übermütig sind wir dann durch die Villa gezogen und präsentierten vor laufenden Kameras uns und unser Outfit. Wir hatten Spaß ohne Ende und die Nacht wurde ziemlich lang.

Letzter Tag

Heute gab es das Frühstück etwas später. Wer mochte, hatte vorher noch Gelegenheit, sich zu schminken. Immer wieder konnten wir Erfahrungen austauschen und sammeln. Wie baut man sich die echtesten Brüste? Stefanie hatte sich ihre Ohrringe zum Stecken in Ohrringe mit Clip umgebaut. Ein technisches Meisterwerk. Während ich mich am Mechanismus der Pumpkaffeekanne zu schaffen machte, kam von hinten eine schöne Frau (Lilo) und behob das Problem mit einem einzigen kurzen Handgriff. Manchmal lässt sich eben doch nicht das männlich technische Genie verleugnen. Nach dem Frühstück konnten wir die angebrochenen Schminkutensilien, natürlich zu ermäßigten Preisen, kaufen. So ein Profimaterial bekommt man nicht überall.

Gegen Mittag mussten wir uns dann aber leider, leider voneinander verabschieden. Ganz mutige (Hallo Romy!) sind sogar "en femme" losgefahren, um noch irgendwo einen Bummel zu machen oder einen Kaffee zu trinken, bevor das Wochenende sich dem Ende neigte.

Für mich war es eines meiner schönsten Wochenenden. Ich habe es unter der Kategorie unvergessliches Erlebnis, positiv, abgelegt. Wer weiß, vielleicht sieht sich die eine oder andere auf der Gender-Change-Party wieder. Ich habe mich bisher zwar noch nicht angemeldet, spiele aber ernsthaft mit dem Gedanken, denn, ich wünsche mir wirklich meine neu erworbenen Bekanntschaften - lieber möchte ich sie, obwohl ich sie nur ein paar Tage kenne, schon als gute Freundinnen bezeichnen - wiederzutreffen. Ich kann wirklich jedem nur raten, am nächsten Gender-Change Workshop, der wohl noch mehr Inhalte, dann vielleicht als Parallelveranstaltungen angeboten, haben wird, teilzunehmen.

Nochmal: Es war zu jeder Zeit absolut natürlich, locker, freundschaftlich und kein bisschen peinlich. Ich habe keine Minute, keinen Kilometer und keinen Euro bereut.

Eure